Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 3 (März) - ISSN 1619-2389
 

Das "Social Web" als Herausforderung
für die Krisenkommunikation

von Florian Semle

Überblick

Das "Social Web" oder "Web 2.0" - kurz das neue interaktive Internet - verändert die kommunikativen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Organisationen in ähnlichem Tempo, wie das Aufkommen des Internets Ende der 1990-ziger Jahre. Soziale Netzwerke wie Facebook, Quype oder StudiVZ schaffen neue öffentliche Räume. Blogger werden zu Katalysatoren der öffentlichen Meinung. Eine neue Generation junger Leute, die so genannten "Digital Natives", erhebt das Internet zu ihrem Lebensraum. Dieser liefert nicht nur Informationen, sondern wird von ihnen mittels digitaler Identitäten regelrecht bewohnt. Auswirkungen hat dies auch auf die Krisenkommunikation.

Neue Kommunikationskonzepte für den Kunden 2.0

Das interaktive Internet verschiebt immer stärker die sozialen Koordinaten der Öffentlichkeitsarbeit. Neben den Medien entsteht ein zweiter öffentlicher Resonanzraum. Dieser umgibt die Unternehmen unmittelbar und absorbiert sogar teilweise die Kundenbeziehungen. Kunden sind nicht mehr vereinzelte Käufer, die individualisierte Beziehungen zu einer Marke oder einem Unternehmen pflegen. Der Kunde 2.0 ist vielmehr öffentlich organisiert. Er informiert sich über Produkte und Dienstleistungen durch Blogs, öffentliche Bewertungen und andere Kunden. Aus dem mehr oder minder stillen Rezipienten ist ein aktiver Organisator seiner Beziehungen geworden.

Der Kunde 2.0 verlangt kommunikativ viel mehr als klassisches Marketing oder Pressearbeit. Die professionelle Öffentlichkeitsarbeit steht dabei vor einer Systemveränderung. Diese wird die Beziehungen zwischen den öffentlichen Akteuren neu strukturieren. Von diesem Wandel sind Unternehmen sehr unterschiedlich betroffen. Je Internet affiner die eigenen Märkte und Zielgruppen sind, desto notwendiger wird die Neuorganisation der digitalen Öffentlichkeitsarbeit. Auch die professionelle Krisenkommunikation muss sich auf Neuerungen einstellen. Das nachfolgende Fallbeispiel soll dies verdeutlichen.

Web 2.0 als Resonanzraum für Krisenkommunikation

Ein Unternehmen bietet seinen Mitgliedern eine Plattform für den Austausch, die Filterung, Kommentierung und Verbreitung digitaler Nachrichten an. Es zählte zu den erfolgreichsten Internet-Start-Ups des Jahres 2008 in Europa. Das Geschäftsmodell richtet sich an eine digital affine Zielgruppe und bescherte dem Unternehmen bereits eineinhalb Jahre nach seiner Gründung rund 500.000 Nutzer. Mit etwa 50 Millionen monatlichen Page Impressions übertrifft es die Online-Angebote der meisten deutschen Tageszeitungen bei Weitem.

Der außerordentliche Unternehmenserfolg konnte allerdings von der bestehenden technischen Infrastruktur nicht länger bewältigt werden. Notwendig war eine komplette Neuprogrammierung des Systems. Nachdem mehrere Tests des neuen Systems erfolgreich verlaufen waren, wurde das neue System an einem Montag um 5.00 Uhr morgens öffentlich gestartet. Um 6.05 Uhr fiel der Server aus. Mehrere Neustartversuche scheiterten. Der Server gestattete lediglich eine Notversion. Diese enthielt wesentliche, bekannte und beliebte Funktionen nicht.

Trotz der frühen Uhrzeit entwickelte sich in kürzester Zeit eine kritische Dynamik unter Usern, Bloggern und Netzwerkern. Um 6.30 Uhr wurde ein erster kritischer Blogbeitrag auf der Startseite des Unternehmens eingestellt. Innerhalb weniger Minuten folgten über 500 Nutzer-Stimmen und rund 180 Kommentare. Zwei Stunden später wurde die gesamte Startseite des Unternehmens von kritischen Beiträgen beherrscht. Nach einigen Stunden erfassten die Monitoring-Systeme über 200 kritische Blogbeiträge.

Am Nachmittag gegen 15.00 Uhr ging eine kritische Kampagnenseite online, auf der Blogger ihren Unmut auf kreative Weise darstellen konnten. Am Abend gegen 18 Uhr erschienen in IT- und Internet-orientierten Medien erste kritische Beiträge. Die massive Kritik der User- und Netzgemeinde konnte nach rund vier Tagen aufgefangen werden. Nach und nach wurden die Sympathien der Nutzer durch die Arbeit des Krisenkommunikationsteams wieder geweckt.

Intuitive Krisen-PR mit Social Media

Das Krisenkommunikationsteam operierte ähnlich wie die Netzgemeinde und koordinierte sich fast ausschließlich digital. Die Zusammenarbeit erfolgte über Kurznachrichtendienste, Smartphones und ein internes Wiki. Hieraus konnte jedes Teammitglied sofort die Tätigkeiten der anderen Kommunikatoren, Brennpunkte und Kernbotschaften entnehmen. Auf standardisierte, vorbereitete Kommunikationsmittel, wie sie in klassischen Krisenhandbüchern verwendet werden, wurde weitgehend verzichtet.

Die Krisensteuerung war im Ergebnis minimal koordiniert und maximal intuitiv. Die "One-Voice-Policy" des Unternehmens wurde nicht durch Konzentration auf wenige Sprecher sichergestellt. Vielmehr hat das gesamte Team den persönlichen Dialog mit Bloggern, Usern und kritischen Autoren in sozialen Netzwerken gesucht. Es folgte dabei der Maxime "One Mind - Many Voices". Hieran waren je nach der Thematik Pressesprecher, Führungskräfte, Programmierer oder externe Kommunikatoren beteiligt.

Die Organisations- und Kommunikationsform glich nicht mehr dem Team im "War Room" der klassischen Krisenkommunikation, sondern vielmehr einem intelligenten, vernetzten Schwarm. Diese web-affine Organisation ermöglichte es den Kommunikatoren, sich wenn nötig spontan gegenseitig zu unterstützen. Hierdurch konnte mit minimalem Koordinationsaufwand bereits am ersten Tag der digitalen Krise in einen Dialog mit den kritischen Bloggern und Kommentatoren getreten werden. Kein einziger kritischer Beitrag blieb unkommentiert.

Der entscheidende Meinungsumschwung wurde durch Maßnahmen direkt auf der Homepage des Unternehmens ausgelöst. Bereits am Nachmittag des ersten Krisentages war ein Forum als Schnittstelle zwischen den Programmierern des Unternehmens und der Nutzergemeinde verfügbar. Die Problemlösung erfolgte von nun an öffentlich und teilweise in Kooperation mit externen Programmierern aus dem Nutzerkreis. Ein Live-Stream - vergleichbar mit einem offenen Twitter-Account - versorgte alle Nutzer kontinuierlich mit Neuigkeiten zur Problembehebung und den aktuellen Planungen des Teams.

Diese maximale Transparenz und Unkonventionalität zahlte sich für das Unternehmen aus. Jedem Nutzer wurde deutlich vor Augen geführt, dass die Probleme der Plattform durch unvorhersehbare technische Schwierigkeiten verursacht wurden. Jeder Blogger konnte sich davon überzeugen, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens rund um die Uhr an der Problemlösung arbeiteten. Für dieses Engagement erntete das Unternehmen die Anerkennung der Netzgemeinde und wachsende Sympathiewerte.

Lehren für das Krisenmanagement 2.0

Die digitale Krise dieses Internet-Unternehmens hat sicherlich keine Allgemeingültigkeit für andere Unternehmen. Gleichwohl geben die Mechanismen dieser Krise im "Social Web" und das Arsenal der Lösungsmethoden einen Vorgeschmack, worauf sich Unternehmen bei zukünftigen Krisen einstellen sollten:

  • Im Unterschied zu Medienkrisen muss bei einer Krise im sozialen Internet kein abstraktes Image bewahrt werden. Vielmehr gilt es, die konkreten Beziehungen zu Multiplikatoren, Nutzern, Kunden und Netzwerken aufrecht zu erhalten und diese nach kritischen Situationen wieder schrittweise zu verbessern.
  •  

  • Die digitale Beziehungspflege erfordert einerseits ein hohes Maß an persönlichem Engagement, da die Sprecher des Unternehmens als Personen für das Unternehmen kommunizieren. Andererseits sind kommunikative Skills für den interaktiven Dialog und das Agieren im Team mit vielen anderen Kommunikatoren notwendig.
  •  

  • Die Zielöffentlichkeit des Unternehmens ist das digitale Ökosystem - also die Gesamtheit aller Vernetzungen, Verflechtungen und interaktiven Medien zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden, Stakeholdern etc. Die Meinungsbildner sind wichtige Kunden, thematisch interessierte Blogger oder auch Kommunikatoren in relevanten Foren sozialer Netzwerke.
  •  

  • Im Gegensatz zum Anspruch klassischer Journalisten sind diese Meinungsbildner keine "neutralen" Beobachter. Sie beziehen selbst eine klare Meinung und agieren bisweilen als Betroffene mit Emotionalität und Schärfe. Auch Emotionenmanagement wird so zum Aufgabenbereich eines Krisenteams.
  •  

  • Je abhängiger Unternehmen von ihrer digitalen Reputation im Internet sind, desto dringlicher ist eine Anpassung und Ergänzung der Mittel zur Krisenkommunikation im Social Web geboten. Unternehmen sollten daher eine Systematik der Meinungsbildung über ihre Themen im digitalen Ökosystem entwickeln und web-affine Kommunikatoren innerhalb des eigenen Unternehmen identifizieren.
  •  

  • Das Monitoring-System muss auch soziale Netzwerke und Blogs umfassen. Zudem können sich Beziehungen zu den wichtigen digitalen Meinungsbildnern als hilfreich erweisen. In kritischen Situationen zählt nämlich nicht nur die unmittelbare Reaktion, sondern auch die Qualität der bestehenden Beziehungen.
  •  

  • Im Gegensatz zum klassischen Krisenmanagement kann bei der Krisen-PR im Web 2.0 nur selten auf schriftliche Vorlagen zurückgegriffen werden. Deshalb sollte das Kommunikationsteam vor allem Intuition und Dialogfähigkeit in Stresssituationen trainieren. Außerdem benötigt es eine rechtssichere Grundlage für die digitale Kommunikation, da bei Web 2.0-Krisen nur selten Zeit für umfangreiche Freigaben bleibt.
  •  

  • Die größte Hürde für erfolgreiche Kommunikation im neuen sozialen Internet ist die Überwindung des kulturellen Grabens zwischen klassischer Kommunikation einerseits und der Dialog-Kommunikation im "Social Web" andererseits. Unternehmen sollten daher für eine maximale Synchronisation der digitalen mit der analogen Krisenkommunikation sorgen und eine integrierte Kommunikation auf allen Kanälen etablieren.

Autor

Florian Semle
freelations kommunikationsberatung 2.0
Tal 36
D-80331 München
Telefon: +49 (0)89 958 948 657
Telefax: +49 (0)89 242 240 73
Internet: www.freelations.de
E-Mail: florian.semle@freelations.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
13. Jahrgang (2010), Ausgabe 10 (Oktober)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
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Das "Social Web" als Herausforderung
für die Krisenkommunikation

von Florian Semle

Überblick

Das "Social Web" oder "Web 2.0" - kurz das neue interaktive Internet - verändert die kommunikativen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Organisationen in ähnlichem Tempo, wie das Aufkommen des Internets Ende der 1990-ziger Jahre. Soziale Netzwerke wie Facebook, Quype oder StudiVZ schaffen neue öffentliche Räume. Blogger werden zu Katalysatoren der öffentlichen Meinung. Eine neue Generation junger Leute, die so genannten "Digital Natives", erhebt das Internet zu ihrem Lebensraum. Dieser liefert nicht nur Informationen, sondern wird von ihnen mittels digitaler Identitäten regelrecht bewohnt. Auswirkungen hat dies auch auf die Krisenkommunikation.

Neue Kommunikationskonzepte für den Kunden 2.0

Das interaktive Internet verschiebt immer stärker die sozialen Koordinaten der Öffentlichkeitsarbeit. Neben den Medien entsteht ein zweiter öffentlicher Resonanzraum. Dieser umgibt die Unternehmen unmittelbar und absorbiert sogar teilweise die Kundenbeziehungen. Kunden sind nicht mehr vereinzelte Käufer, die individualisierte Beziehungen zu einer Marke oder einem Unternehmen pflegen. Der Kunde 2.0 ist vielmehr öffentlich organisiert. Er informiert sich über Produkte und Dienstleistungen durch Blogs, öffentliche Bewertungen und andere Kunden. Aus dem mehr oder minder stillen Rezipienten ist ein aktiver Organisator seiner Beziehungen geworden.

Der Kunde 2.0 verlangt kommunikativ viel mehr als klassisches Marketing oder Pressearbeit. Die professionelle Öffentlichkeitsarbeit steht dabei vor einer Systemveränderung. Diese wird die Beziehungen zwischen den öffentlichen Akteuren neu strukturieren. Von diesem Wandel sind Unternehmen sehr unterschiedlich betroffen. Je Internet affiner die eigenen Märkte und Zielgruppen sind, desto notwendiger wird die Neuorganisation der digitalen Öffentlichkeitsarbeit. Auch die professionelle Krisenkommunikation muss sich auf Neuerungen einstellen. Das nachfolgende Fallbeispiel soll dies verdeutlichen.

Web 2.0 als Resonanzraum für Krisenkommunikation

Ein Unternehmen bietet seinen Mitgliedern eine Plattform für den Austausch, die Filterung, Kommentierung und Verbreitung digitaler Nachrichten an. Es zählte zu den erfolgreichsten Internet-Start-Ups des Jahres 2008 in Europa. Das Geschäftsmodell richtet sich an eine digital affine Zielgruppe und bescherte dem Unternehmen bereits eineinhalb Jahre nach seiner Gründung rund 500.000 Nutzer. Mit etwa 50 Millionen monatlichen Page Impressions übertrifft es die Online-Angebote der meisten deutschen Tageszeitungen bei Weitem.

Der außerordentliche Unternehmenserfolg konnte allerdings von der bestehenden technischen Infrastruktur nicht länger bewältigt werden. Notwendig war eine komplette Neuprogrammierung des Systems. Nachdem mehrere Tests des neuen Systems erfolgreich verlaufen waren, wurde das neue System an einem Montag um 5.00 Uhr morgens öffentlich gestartet. Um 6.05 Uhr fiel der Server aus. Mehrere Neustartversuche scheiterten. Der Server gestattete lediglich eine Notversion. Diese enthielt wesentliche, bekannte und beliebte Funktionen nicht.

Trotz der frühen Uhrzeit entwickelte sich in kürzester Zeit eine kritische Dynamik unter Usern, Bloggern und Netzwerkern. Um 6.30 Uhr wurde ein erster kritischer Blogbeitrag auf der Startseite des Unternehmens eingestellt. Innerhalb weniger Minuten folgten über 500 Nutzer-Stimmen und rund 180 Kommentare. Zwei Stunden später wurde die gesamte Startseite des Unternehmens von kritischen Beiträgen beherrscht. Nach einigen Stunden erfassten die Monitoring-Systeme über 200 kritische Blogbeiträge.

Am Nachmittag gegen 15.00 Uhr ging eine kritische Kampagnenseite online, auf der Blogger ihren Unmut auf kreative Weise darstellen konnten. Am Abend gegen 18 Uhr erschienen in IT- und Internet-orientierten Medien erste kritische Beiträge. Die massive Kritik der User- und Netzgemeinde konnte nach rund vier Tagen aufgefangen werden. Nach und nach wurden die Sympathien der Nutzer durch die Arbeit des Krisenkommunikationsteams wieder geweckt.

Intuitive Krisen-PR mit Social Media

Das Krisenkommunikationsteam operierte ähnlich wie die Netzgemeinde und koordinierte sich fast ausschließlich digital. Die Zusammenarbeit erfolgte über Kurznachrichtendienste, Smartphones und ein internes Wiki. Hieraus konnte jedes Teammitglied sofort die Tätigkeiten der anderen Kommunikatoren, Brennpunkte und Kernbotschaften entnehmen. Auf standardisierte, vorbereitete Kommunikationsmittel, wie sie in klassischen Krisenhandbüchern verwendet werden, wurde weitgehend verzichtet.

Die Krisensteuerung war im Ergebnis minimal koordiniert und maximal intuitiv. Die "One-Voice-Policy" des Unternehmens wurde nicht durch Konzentration auf wenige Sprecher sichergestellt. Vielmehr hat das gesamte Team den persönlichen Dialog mit Bloggern, Usern und kritischen Autoren in sozialen Netzwerken gesucht. Es folgte dabei der Maxime "One Mind - Many Voices". Hieran waren je nach der Thematik Pressesprecher, Führungskräfte, Programmierer oder externe Kommunikatoren beteiligt.

Die Organisations- und Kommunikationsform glich nicht mehr dem Team im "War Room" der klassischen Krisenkommunikation, sondern vielmehr einem intelligenten, vernetzten Schwarm. Diese web-affine Organisation ermöglichte es den Kommunikatoren, sich wenn nötig spontan gegenseitig zu unterstützen. Hierdurch konnte mit minimalem Koordinationsaufwand bereits am ersten Tag der digitalen Krise in einen Dialog mit den kritischen Bloggern und Kommentatoren getreten werden. Kein einziger kritischer Beitrag blieb unkommentiert.

Der entscheidende Meinungsumschwung wurde durch Maßnahmen direkt auf der Homepage des Unternehmens ausgelöst. Bereits am Nachmittag des ersten Krisentages war ein Forum als Schnittstelle zwischen den Programmierern des Unternehmens und der Nutzergemeinde verfügbar. Die Problemlösung erfolgte von nun an öffentlich und teilweise in Kooperation mit externen Programmierern aus dem Nutzerkreis. Ein Live-Stream - vergleichbar mit einem offenen Twitter-Account - versorgte alle Nutzer kontinuierlich mit Neuigkeiten zur Problembehebung und den aktuellen Planungen des Teams.

Diese maximale Transparenz und Unkonventionalität zahlte sich für das Unternehmen aus. Jedem Nutzer wurde deutlich vor Augen geführt, dass die Probleme der Plattform durch unvorhersehbare technische Schwierigkeiten verursacht wurden. Jeder Blogger konnte sich davon überzeugen, dass alle Mitarbeiter des Unternehmens rund um die Uhr an der Problemlösung arbeiteten. Für dieses Engagement erntete das Unternehmen die Anerkennung der Netzgemeinde und wachsende Sympathiewerte.

Lehren für das Krisenmanagement 2.0

Die digitale Krise dieses Internet-Unternehmens hat sicherlich keine Allgemeingültigkeit für andere Unternehmen. Gleichwohl geben die Mechanismen dieser Krise im "Social Web" und das Arsenal der Lösungsmethoden einen Vorgeschmack, worauf sich Unternehmen bei zukünftigen Krisen einstellen sollten:

Autor

Florian Semle
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E-Mail: florian.semle@freelations.de

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13. Jahrgang (2010), Ausgabe 10 (Oktober)

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Letzte Aktualisierung: Dienstag, 19. März 2024

       

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