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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389): Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher |
von Sebastian Haugk und Prof. Dr. Dubravko Radic
Kunden einer fiktiven Kaffeehauskette werden mit einer schweren Magen-Darm-Entzündung in Krankenhäuser eingeliefert. Die Medien berichten bereits in großer Aufmachung über die Ereignisse. Doch wie soll das Unternehmen in seiner Krisenkommunikation reagieren? Sofort entschuldigen, erst einmal abwarten oder alle Schuld von sich weisen? Zur Beantwortung dieser Frage haben Sebastian Haugk und Prof. Dr. Dubravko Radic von der Universität Leipzig eine Online-Befragung unter 524 Teilnehmern durchgeführt. Untersucht wurde, wie sich die jeweils gewählte Krisenkommunikationsstrategie auf die Reputation des Unternehmens, die Schuldzuweisung durch die Öffentlichkeit und die Wiederkaufabsichten der Konsumenten auswirkt.
Stellen Sie sich folgendes fiktives, aber nicht unrealistisches Szenario vor: Hunderte Besucher einer großen Kaffeehauskette werden in verschiedenen Städten mit einer schweren Magen-Darm-Entzündung in Krankenhäuser eingeliefert. Es scheint so, dass sie sich alle durch verseuchte Lebensmittel infiziert haben. Der Verkauf von Speisen wird durch die Kaffeehauskette umgehend eingestellt. Dennoch landet die Meldung auf den Titelseiten der Zeitungen. Reporter kampieren vor der Unternehmenszentrale. Wie sollte das Unternehmen öffentlich auf diese Krise reagieren?
Die Forschung bezüglich Krisenkommunikationsstrategien ist sich in dieser Frage nicht einig. Oftmals wird in der Literatur und Praxis eine Entschuldigung als beste Lösung vorgeschlagen (vgl. Benoit 1995; Benoit & Drew 1997). Coombs und Holladay (2008) sehen es jedoch als problematisch an, im Rahmen einer Entschuldigung in jedem Fall die eigene Schuld anzuerkennen, da dies vor Gericht zu großen finanziellen Belastungen für das Unternehmen führen kann. In einem Experiment von Claeys et al. (2010) wurde sogar festgestellt, dass einige Konsumenten die Reputation eines Unternehmens besser einschätzen, wenn das Unternehmen alle Schuld von sich weist.
Auch Dutta und Pullig (2011) konnten – wie zahlreiche weitere Autoren – keine "one type fits all"-Strategie für die Krisenkommunikation finden. Sollte die betroffene Kaffeehauskette also wirklich so schnell wie möglich demütig auftreten und eine öffentliche Entschuldigung aussprechen? Oder sollte sie erst einmal abwarten, bis die Schuldfrage geklärt ist, oder gar generell alle Schuld von sich weisen? Welche Auswirkungen haben diese unterschiedlichen Kommunikationsstrategien im Hinblick auf die eigene Reputation, die Schuldzuweisung durch die Öffentlichkeit oder die Wiederkaufabsichten durch die Konsumenten?
Mit einem Experiment sollen genau diese Fragen beantwortet werden: Welche Kommunikationsstrategie sollte im Hinblick auf die Einschätzung durch die Konsumenten bei verschiedenen Krisenarten gewählt werden? Die Teilnehmer wurden hierbei mit der zuvor beschriebenen hypothetischen Krise und verschiedenen Kommunikationsstrategien des Unternehmens konfrontiert. Anschließend sollten sie ihre Einschätzung zu dieser Kommunikationsstrategie abgeben.
Die Krise des Unternehmens wurde mit Hilfe verschiedener Medien, wie beispielsweise Zeitungsartikeln, Bildern und Reaktionen von Betroffenen, simuliert. Das betroffene Unternehmen und die simulierten Krisenfälle sind dabei rein fiktiv, um den Einfluss von bereits vorgefestigten Meinungen auf Seiten der Teilnehmer zu minimieren. Drei Krisen, die sich in der Schuldfrage unterscheiden, wurden simuliert und von insgesamt 524 Teilnehmern in einer Online-Befragung bewertet. Dazu lasen die Teilnehmer fingierte Wikipedia-Artikel, Kundenmeinungen und Zeitungsartikel über die fiktive Kaffeehauskette "ABC Coffee".
Abbildung 1: Fiktiver Wikipedia-Eintrag
Nachdem sie sich eine Meinung über das Unternehmen bilden konnten, wurden die Reputation des Unternehmens sowie die Kaufwahrscheinlichkeit der Probanden mit Hilfe von in der Literatur erprobten Skalen gemessen. Anschließend wurde die eigentliche Krise simuliert. Dafür wurde allen Teilnehmern der Studie die Titelseite einer fiktiven Zeitung mit einem Artikel vorgelegt, die das beschriebene Szenario enthielt.
Abbildung 2: Fiktive Nachrichtenmeldung
Die Teilnehmer wurden in neun Gruppen eingeteilt und bekamen jeweils eine von drei möglichen Reaktionen des Unternehmens in Form eines Zeitungsartikels vorgelegt. Dieser beschrieb jeweils die öffentliche Reaktion des Unternehmens.
Des Weiteren sahen die Teilnehmer nach der Reaktion des Unternehmens, erneut in Form eines Zeitungsartikels, eine von drei möglichen Auflösungen hinsichtlich der Schuldfrage:
Abschließend wurden nochmals die Reputation des Unternehmens und die eigene Kaufwahrscheinlichkeit abgefragt. Darüber hinaus gaben die Probanden nach der simulierten Krise auch an, inwiefern sie ABC Coffee als Schuldigen für die Krise ansehen und wie wütend sie auf das Unternehmen sind. Die folgende Abbildung stellt beispielhaft das Szenario des demütigen Auftretens dar.
Abbildung 3: Beispielhafte Darstellung von Strategie 3
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die optimale Krisenkommunikationsstrategie eines Unternehmens einerseits von der Schuldfrage abhängt, andererseits jedoch auch davon, welches primäre Ziel es mit der Krisenkommunikation erreichen will.
Der Einfluss der Schuldfrage ist dabei größer als der Einfluss der Kommunikationsstrategien. Das Unternehmen schnitt hinsichtlich der verschiedenen Variablen (Reputation, Schuldzuweisung, Wiederkaufverhalten) immer signifikant besser ab, wenn sich später herausstellt, dass es die Krise nicht selbst verursacht hatte. Dieses Ergebnis ist durchaus zu erwarten gewesen.
Jedoch können wesentliche Unternehmensziele auch durch die gewählte Krisenkommunikationsstrategie beeinflusst werden. In jeder Krisenart führte ein demütiges Auftreten des Unternehmens mit öffentlicher Entschuldigung und angekündigter Entschädigung zum geringsten Reputationsverlust. Die Option, sich zurückzuhalten und so wenig wie möglich mit den Medien zu kommunizieren, schnitt in dieser Hinsicht bei jeder Krisenart am schlechtesten ab.
Die nachfolgenden drei Abbildungen stellen jeweils die Mittelwerte der drei alternativen Kommunikationsstrategien dar. Ein niedrigerer Wert ist dabei stets besser.
Abbildung 4: Höhe des Reputationsverlustes
Abbildung 5: Höhe der Schuldzuweisung
Abbildung 6: Verringerung der Kaufwahrscheinlichkeit
Ein Patentrezept ist die Strategie, sich öffentlich zu entschuldigen und demütig aufzutreten, aber dennoch nicht. Die Schuldzuweisung durch die Teilnehmer war bei Anwendung dieser Strategie größer, als beim Anwenden der Strategie, die eigene Verantwortlichkeit abzustreiten und die Schuld an Andere (im Szenario an Vorlieferanten) weiterzugeben. Dies gilt sowohl für den Fall, dass das Unternehmen nicht an der Krise schuld war, als auch für den Fall, dass es selbst daran schuld war.
Es sei angemerkt, dass in diesem Fall ein Abstreiten der eigenen Schuld jedoch moralisch fragwürdig ist. Die Verärgerung der Teilnehmer war jedoch wiederum bei einem demütigen Auftreten des Unternehmens geringer. Bei der Verringerung der Kaufwahrscheinlichkeit konnte keine Strategie systematisch bessere Ergebnisse erzielen als die anderen Strategien.
Die Ergebnisse dieses Experimentes machen klar, dass sich das von einer Krise betroffene Unternehmen entscheiden muss: Soll die eigene Reputation beschützt werden, ist ein demütiges Auftreten in der Öffentlichkeit meist empfehlenswert. Steht jedoch die Minimierung der Schuldzuweisung durch die Konsumenten im Mittelpunkt des Interesses, ist das "mea culpa" jedoch nicht optimal.
Die Strategie, sich zurückzuhalten und so wenig wie möglich mit den Medien zu kommunizieren, kann nur als Option gelten, wenn die Krise noch keine größere öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat. Ist die Krise jedoch bereits öffentlich, sollte sich das Unternehmen mit Blick auf die eigenen Ziele für eine Strategie entscheiden. Eine Patentlösung, auf eine Krise zu reagieren, gibt es dabei jedoch nicht.
Sebastian Haugk |
Prof. Dr. Dubravko Radic |
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
19. Jahrgang (2016), Ausgabe 1 (Januar)
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Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 3. Oktober 2024
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Internet: www.krisennavigator.de
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