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Rezension von Frank Roselieb
Für das wechselhafte Zusammenspiel zwischen Journalismus und Public Relations sind vielfach Metaphern gebraucht worden. Einige sprechen von einem "symbiotischen Verhältnis", andere sehen in den Akteuren "siamesische Zwillinge". In der heutigen Zeit ist immer häufiger von "antagonistischer Kooperation" die Rede. Dahinter verbirgt sich eine extreme Handlungsbreite - von einem fast symbiotischen Zusammenwirken bis hin zu einem erbitterten Streit um Wahrheit, Klarheit und Gunst der Öffentlichkeit (Seite 7). Insbesondere im "kommunikativen Ausnahmezustand" - also in Krisen- und Konfliktsituationen - wird diese funktionale Differenz zwischen Journalisten und PR-Managern deutlich. PR-Manager und Kommunikationsverantwortliche sollten sich mit dieser Differenz genauer befassen, denn sie ist gestaltbar (Seite 9). Die Beiträge im Sammelband der Kommunikations-Professoren Günter Bentele (Universität Leipzig) und Lothar Rolke (Fachhochschule Mainz) untersuchen vier solcher Ausnahmesituationen genauer und zeigen, wo Gestaltungschancen der Öffentlichkeitsarbeit vertan wurden.
Dirk Furchert, seit 1994 Amtsleiter des Presse- und Werbeamtes und Pressesprecher der Stadt Halle (Saale) sowie Mitglied im Presseausschuß des Deutschen Städtetages, zeigt am Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit von Großstädten, wo die latenten Konflikte zur Presse liegen und wie sie bewältigt werden können. Methodische Basis seiner Arbeit ist eine Befragung der Verantwortlichen in kommunalen Presse- und Informationsämtern (Seite 19). Zu diesem Zweck hat Furchert Ende Oktober / Anfang November 1995 Fragebögen an 67 kommunale Verwaltungen versandt. Der Rücklauf lag bei zwei Dritteln. Die 44 ausgewerteten Fragebögen bieten interessante Einblicke in die Problemfelder kommunaler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Die Befragung offenbart auch jenseits von Krisen und Konflikten allgemeine Interessendivergenzen zwischen Verwaltung und Presse. Neun von zehn Befragten sind der Ansicht, daß die Schwierigkeiten in der Pressearbeit aus einer prinzipiellen Unvereinbarkeit der Aufgaben und Ziele von Verwaltung und Medien entstehen. Zwei Drittel der Pressestellen beklagen, daß die Journalisten durch Direktkontakte in der Verwaltung die Pressestellen umgehen (Seite 52 und 53).
Neben der Präsentation der empirischen Befunde kommentiert Furchert die Ergebnisse der Befragung ausführlich und nennt zahlreiche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Journalisten und kommunalen Pressesprechern (Seite 37, 40, 43, 44, 47, 48, 52, 53). Insgesamt gelingt ihm dadurch ein umfassender und sachkundiger Überblick über Konfliktfelder und adäquate Lösungsstrategien in der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit.
Unter dem Titel "Reden wir darüber?" untersucht Monika Haller, seit 1998 freiberufliche Beraterin und Redakteurin bei einer Schweizer Agentur für Kommunikation und Public Relations, die Kommunikationspolitik der Deutschen Bank im Fall "Schneider". Dr. Jürgen Schneider, sechzigjähriger Bauinvestor aus Königstein bei Frankfurt am Main, hatte sich über Ostern 1994 mit ca. 250 Millionen Mark ins Ausland abgesetzt. Er hinterließ 5 Milliarden Mark Kreditschulden bei 50 Gläubigerbanken und 250 Millionen Mark an offenen Rechnungen bei Lieferanten, Handwerkern und Baufirmen. Der Fall "Schneider" füllte fortan die Titelblätter und Nachrichtensendungen der Medien (Seite 58). Eine neue Dimension nahm der Fall an als bekannt wurde, daß die Deutsche Bank mehrere Tage vor den anderen 49 Gläubigerbanken und der Öffentlichkeit über Schneiders Flucht Bescheid gewußt hat. Aus dem Fall "Schneider" wurde so ein Fall "Deutsche Bank". Doch damit noch nicht genug. Als Hilmar Kopper, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, auf einer Pressekonferenz Ende April 1994 die ausstehenden Handwerkerrechnungen in Höhe von rund 50 Millionen DM als "peanuts" bezeichnet hat, mutierte der Fall "Deutsche Bank" zwischenzeitlich zum Fall "Kopper" (Seite 59). Insgesamt führte der kommunikative Umgang der Bank mit dem Fall "Schneider" zu einem dramatischen Image- und Glaubwürdigkeitsverlust für Deutschlands einstigen Branchenprimus. Diese kommunikativen Defekte will die Verfasserin näher untersuchen.
Hierzu rekonstruiert sie zunächst die Chronologie der Ereignisse anhand der Berichterstattung in den wichtigsten meinungsbildenden Printmedien. Außerdem interviewt sie einen Universitätsprofessor, drei Wirtschaftsjournalisten sowie einen Abteilungsdirektor der Deutschen Bank (Seite 63). Ihre anschließende Analyse der Informations- und Kommunikationspolitik der Deutschen Bank deckt gravierende Defizite auf:
Die tieferen Ursachen dieser kommunikativen Defizite sieht die Verfasserin insbesondere in zwei Aspekten begründet: Zum einen gehört es zum Selbstverständnis der Deutschen Bank, diskret und dezent im Auftreten zu sein (Seite 91). Zum anderen versteht sich Hilmar Kopper als "stiller Macher" (Seite 92). Beides prägt die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Bank: Man möchte nicht gerne auffallen und sich schon gar nicht in der Öffentlichkeit darstellen. Die Öffentlichkeitsarbeit des Bankhauses bleibt deshalb defensiv und reaktiv und verstärkt dadurch den Mythos "Deutsche Bank" im öffentlichen Bewußtsein (Seite 95).
Für die Zukunft empfiehlt die Verfasserin der Deutschen Bank grundlegende Korrekturen in der Öffentlichkeitsarbeit: Erstens sollte sich die Bank einen Krisenplan für zukünftige Betrugsfälle zurechtlegen - also eine Art Schubladenrezeptur für den adäquaten, kommunikativen Umgang mit einer potentiellen Krise (Seite 95). Zweitens gilt es für die Bank, zukünftig Issue Management zu betreiben, um eine drohende Krise anhand "schwacher Signale" frühzeitig zu erkennen (Seite 96). Drittens ist im Rahmen einer Imageuntersuchung zu fragen, auf welche Imagekomponenten und bei welchen Zielgruppen sich der Fall "Schneider" besonders negativ ausgewirkt hat. Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte zum Rückgewinnen von Glaubwürdigkeit bei den bankrelevanten Teilöffentlichkeiten (Seite 97). Viertens gilt es für die Deutsche Bank, ihre gesamte Kommunikationsstrategie grundlegend zu überarbeiten, denn der Fall "Schneider" hat Defizite in der Informations- und Kommunikationspolitik der Deutschen Bank aufgezeigt, die über den Krisenfall hinausgehen. Ziel der Bank sollte es dabei sein, eine aktive, offensive, dialogisch orientierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln (Seite 99).
Insgesamt gelingt es der Verfasserin, die "Peanuts-Affäre" umfassend und angemessen zu würdigen. Insbesondere die Befragung der drei Wirtschaftsjournalisten bringt interessante Erkenntnisse, die aus der Medienberichterstattung so nicht hätten gewonnen werden können.
Dr. Lambert Müller, seit 1997 freier Berater für Krisenkommunikation und davor Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Main Kraftwerke in Frankfurt am Main, beschäftigt sich mit den Kommunikationsfehlern der Daimler-Benz AG nach dem "Elch-Test" der A-Klasse. Zu diesem Zweck rekonstruiert er Schritt für Schritt den Ereignisablauf und zeigt auf, wann welche Fehler gemacht wurden. Für Müller beginnt die Krise schon weit vor der eigentlichen Krise mit der scheinbar harmlosen Gleichzeitigkeit von zwei Vorfällen. Zum einen wird im Juli 1995 Jürgen Schrempp, Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz, nach einer Feierlichkeit in Rom an der Spanischen Treppe aufgegriffen und gibt anschließend im Polizeiwagen "unschöne Äußerungen" von sich. Zum anderen erscheint nur wenige Tage später in der August-Ausgabe des "Manager Magazins" ein 76-seitiges Dossier des Ex-Finanzvorstandes Gerhard Liener, in dem dieser mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter abrechnet (Seite 115). Beide Ereignisse lassen zum ersten Mal öffentlich die Frage nach Image und Kultur des Konzerns laut werden und sind Auslöser einer deutlich kritischeren Berichterstattung über den Konzern (Seite 116).
Die eigentliche Krise unterteilt Müller in fünf Phasen, in denen er zehn Kommunikationsfehler des Konzerns konstatiert:
Müllers Aufsatz ist mit nur 24 Seiten zwar der kürzeste im Sammelband, aber auch der spannendste. Ihm gelingt es nicht nur, die Krise systematisch und umfassend zu analysieren. Er versteht es auch, über den einzelnen Fall hinausgehende Empfehlungen für erfolgreiche Krisenkommunikation zu geben (Seite 130 bis 134).
Michael Huber, Student der Wirtschaftspädagogik an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, untersucht, welche Folgen der Brand am Düsseldorfer Rhein-Ruhr-Flughafen für die PVC-Industrie hatte. Durch einen der wohl folgenschwersten Brände der Nachkriegsgeschichte kamen am 11. April 1996 17 Menschen ums Leben. Weitere 87 Personen wurden zum Teil schwer und mehrere hundert Personen leicht verletzt. Der Sachschaden belief sich auf etwa 500 Mio. DM (Seite 139). Bereits am Tag nach dem Brand kamen Spekulationen über die Beteiligung von Polyvinylchlorid (PVC) an der Brandkatastrophe auf. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Ursachen für den Brand noch vollkommen ungeklärt waren, dominierten diese Spekulationen auch die Medienberichterstattung der nächsten Wochen und führten in der Folge zu Auftragsverlusten und zu ersten Entlassungen in der PVC-Industrie. Außerdem wurde in vielen Kreisen und Kommunen ein PVC-Verbot diskutiert und zum Teil auch beantragt (Seite 140).
Mittels einer systematischen Medienresonanzanalyse zeigt Huber auf, welche Themen und Themenkarrieren, Meinungsträger und Tendenzen die Berichterstattung zur PVC-Debatte nach dem Düsseldorfer Flughafenbrand bestimmt haben. Insgesamt werden 868 Beiträge aus 316 Zeitungen und Zeitschriften in der Analyse berücksichtigt, die in der Zeit vom 12. April 1996 bis zum 14. Oktober 1996 erschienen sind (Seite 144). Während dieses 27wöchigen Untersuchungszeitraums gab es - nach dem Brand - zwei weitere Nachrichteneinschübe. Zum einen begann am 23. Juni 1996 ein Koalitionsstreit um den Kunststoff PVC innerhalb der nordrhein-westfälischen Landesregierung, zum anderen organisierte die Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU) am 19. September 1996 eine Pro-PVC-Demonstration gegen die "Lügen über PVC" (Seite 141). Beachtenswert sind die folgenden Befunde:
Auch wenn der Flughafenbrand und die dadurch erneut entfachte PVC-Diskussion in vielen Belangen eine außergewöhnliche Krise war - beispielsweise durch den außerordentlich hohen Sachschaden und das schlechte Image, daß PVC in der Öffentlichkeit hatte - gibt der Autor abschließend Empfehlungen für ein verbessertes Krisenmanagement, die auch in anderen Krisen Gültigkeit haben: So hätte zu Beginn der Krise den Spekulationen der Umweltgruppen, daß PVC allein verantwortlich für die Todesopfer ist, energischer widersprochen werden müssen. Auch die Zielgruppe "lokale Politik" wurde sträflich unterschätzt. Die lokalen PVC-Debatten waren daher fest in der Hand der Grünen und der Umweltorganisationen (Seite 190).
Alle Fallbeispiele zeigen, daß die publizistischen Niederlagen durch Fehler in der eigenen Öffentlichkeitsarbeit mit verstärkt wurden. Im nachhinein wird erkennbar, daß die Handlungsmöglichkeiten der attackierten Akteure nicht ausgeschöpft wurden. Für alle, die sich mit Krisenkommunikation beschäftigen, erweisen sich daher Fehleranalysen als äußerst hilfreich, weil sie Chancen zur Prophylaxe im Krisenmanagement bieten.
Insgesamt reiht sich der Band ein in die sehr lesenswerte Vistas-Reihe "Öffentlichkeitsarbeit / Public Relations und Kommunikationsmanagement". Lediglich die Schlußredaktion läßt zu wünschen übrig. So leidet das Lesevergnügen etwas unter zahlreichen Tipp- und Satzfehlern. Mehrfach werden sogar ganze Absätze wiederholt (Seite 134 und 151).
Günter Bentele, Lothar Rolke (Hrsg.),
Konflikte, Krisen und Kommunikationschancen
in der Mediengesellschaft:
Casestudies aus der PR-Praxis,
Serie Öffentlichkeitsarbeit, Public
Relations und Kommunikationsmanagement,
Band 7, Vistas-Verlag, Berlin, 1998,
200 Seiten, EUR 17.00,
ISBN 3-89158-224-2
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
2. Jahrgang (1999), Ausgabe 4 (April)
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Letzte Aktualisierung: Montag, 2. Dezember 2024
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