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von Frank Wilmes
Fast täglich lesen wir in der Zeitung, dass ein Staatsanwalt Ermittlungen gegen einen Manager oder Unternehmer eingeleitet hat. Damit beginnt für die Krisenkommunikation ein heikles Unterfangen, wenn nicht sogar die schwierigste Herausforderung, um die Reputation des Beschuldigten und des Unternehmens zu schützen. Krisen-PR in rechtlichen Auseinandersetzungen (in Amerika heißt es Litigation-PR) ist in Deutschland noch nahezu unbekannt.
Soviel ist jedenfalls sicher: Manager leben gefährlich. Die Gefahr, dass sie in die Fänge der Staatsanwaltschaft geraten, ist seit den 90er Jahren enorm gestiegen. Immer häufiger müssen sich Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Topmanager für ihr Handeln oder Unterlassen vor Gericht verantworten. Das Spektrum möglicher Fehltritte reicht von vermeintlichem Subventionsbetrug über angebliche Bilanzfälschung bis hin zur strittigen Höhe von Abfindungen.
Der Düsseldorfer Strafverteidiger Marcus Mosiek warnt: "Aggressiver als je zuvor verfolgen Staatsanwälte Unternehmensverantwortliche. Mitunter wird hierbei über das Ziel hinausgeschossen – mit oftmals verheerenden Folgen für den Betroffenen, aber auch das von ihm repräsentierte Unternehmen. Es kann nicht angehen, dass die Haltbarkeit unternehmerischer Entscheidungen zunehmend von der Einschätzung einzelner Strafverfolger abhängig gemacht wird."
Deutschlands Unternehmer sitzen in der Rechtsfalle. "Selbst unbescholtene Manager, die ohne Hintergedanken handeln, verheddern sich schnell in juristischen Fallstricken", sagt der Wirtschaftsjournalist Thomas Werres vom manager magazin, der sich seit Jahren mit dem Themenkomplex Strafrecht und Unternehmen beschäftigt. Zu unübersichtlich ist das Paragraphenwerk geworden, das vom Strafgesetzbuch über Insolvenzrecht bis zum Außenwirtschaftsgesetz reicht. Statt Orientierung und Schutz bieten die Massengesetze jede Menge Angriffsfläche für Staatsanwälte. Hätte sich TUI-Chef Michael Frenzel je erträumen lassen, dass Staatsanwälte gegen ihn wegen Untreue und Insolvenzverschleppung im Fall der ehemaligen TUI-Tochter Babcock ermitteln?
Beispiel: Der Fall Karl-Heinz WildmoserKarl-Heinz Wildmoser ist ein erfolgreicher Gastronom und Hotelier, dekoriert mit vielen Auszeichnungen, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz. Doch seine Bekanntheit und Beliebtheit verdankt er dem Fußball. Als Präsident von 1860 München saniert er den maroden Verein und führt ihn in die Bundesliga. Im Jahre 2007 wollte er dieses Amt nach 15 Jahren abgeben. Der Sohn entlastet seinen Vater vollständig und legt ein Geständnis ab. Dem Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Christian Schmidt-Sommerfeld, reicht dieses Geständnis nicht aus. Er spielt auf Zeit und sagt: "Solange wir von Herrn Wildmoser senior keine Aussage haben, dauert der Haftgrund Verdunklungsgefahr an." |
Der Staatsanwalt trifft aber nicht nur auf unbescholtene Unternehmer und Manager. Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sind über 60 Prozent der großen deutschen Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen. Erfahrungsgemäß ist dieser Anteil in mittelständischen Unternehmen deutlich höher, dort wird Wirtschaftskriminalität jedoch nicht so häufig aufgedeckt.
Mehr als 80 Prozent aller befragten Manager befürchten einen Anstieg der Wirtschaftskriminalität, aber weniger als 30 Prozent der Manager sehen eine Gefahr im eigenen Hause. Diese Sorglosigkeit ist ein Problem.
In einer repräsentativen Umfrage hat der Autor vom 15. bis 25. November 2005 insgesamt 427 Fachanwälte für Strafrecht zum Thema "Objektivität von Richtern und Staatsanwälten" befragt. Die befragten Anwälte sind Mitglieder des Verbandes "Deutsche Strafverteidiger e.V." und so genannte Promianwälte für Wirtschaftsstrafrecht.
Insgesamt nahmen 114 Strafverteidiger an der Umfrage teil. Dies entspricht einer Beteiligung von 26,7 Prozent. Aufgrund dieser außergewöhnlich hohen Rücklaufquote, die weit über das erforderliche Maß für eine repräsentative Umfrage hinausgeht, sind nunmehr Aussagen zur öffentlich-medialen Wirkung auf die Strafrechtspflege möglich.
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Gerichte keineswegs als objektiv von den Befragten eingeschätzt werden können. Auch muss durchweg mit einer (negativen) Vorverurteilung bereits bei Aufnahme eines Strafverfahrens gerechnet werden. Was nützt da dann ein späteres entlastendes Urteil.
Für Betroffene dürfte die Erkenntnis aus dem Urteil sein, dass Angeklagte und ihre Anwälte ihr Meinungsbild in der Öffentlichkeit aktiv mitbestimmen sollten, wenn nachhaltiger Schaden abgewendet werden soll.
Jeder kennt den Spruch: "Die Mühlen der Justiz mahlen langsam." Die Mühlsteine heißen Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren und Strafvollstreckung. Jeder Vorgang dauert, geht an die Nerven und schwächt die Reputation des Angeklagten und des Unternehmens.
Beispiel: Nadja AuermannDonnerstag, den 19. Januar 2006, um 10 Uhr. Berliner Steuerfahnder verschaffen sich mit dem rosafarbenen Durchsuchungsbeschluss Zugang zur Wohnung des Models Nadja Auermann. Sie soll einen Teil ihres Einkommens nicht angemeldet haben. Beamte durchkämmen die rund 200 Quadratmeter große Altbauwohnung in Potsdam und beschlagnahmen mehrere Unterlagen.Ergibt sich anhand des Ermittlungsverfahrens, dass kein strafbares Verhalten vorliegt, wird das Verfahren eingestellt. Andernfalls erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Anklage – durch Einreichung einer Klageschrift oder den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Bei einem Strafbefehl (Geldstrafe) bleibt dem Beschuldigten die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung erspart. |
Beispiel: Comroad AG Das Landgericht München verurteilt am 21. November 2002 den Firmengründer der Comroad AG, Bodo Schnabel, wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Insiderhandels und Kursbetrugs zu sieben Jahren Gefängnis. Seine Frau erhält eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Zudem sollen rund 20 Millionen Euro aus dem Vermögen der Familie eingezogen werden. |
Jeder Verfahrensabschnitt erfordert eine neue Strategie. So wie die Staatsanwaltschaft jeden Schritt sorgfältig plant, um die notwendigen Argumente für eine Klageerhebung zusammenzutragen und sie während eines Prozesses für eine Verurteilung zu verdichten, müssen Anwalt, Angeklagter und Unternehmen (PR-Manager) systematisch dagegen halten, um Nachteile für den Prozess und Nachteile für das Unternehmen zu minimieren.
Man stelle sich einmal diesen Idealfall vor: Die Kriminalpolizei übergibt ihre gewissenhaft erarbeiteten Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft. Weil die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt ist, sucht sie auch nach entlastendem Material für den Beschuldigten. Der Richter beurteilt in einem Verfahren jedes Argument und jeden Beweis mit objektiver Schärfe. Die Zeugen erinnern sich in perfekter Genauigkeit. Die Opfer erzählen ohne Emotionen. Der Angeklagte erzählt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Sein Anwalt hilft kräftig mit bei der Wahrheitssuche.
So ein Gericht gibt es nicht. Jeder Verfahrensbeteiligte verfolgt seine Ziele durch Weglassen, Manipulieren, Übertreiben oder Dramatisieren. Dass alles mit rechten Dingen zugehen möge, wünschen wir uns alle. Aber es ist nicht die Aufgabe des Anwalts, nach Minuspunkten für seinen Mandanten zu suchen. Und ein Opfer wird kaum in der Lage sein, sein Leiden ohne Emotionen auszudrücken. Der Zeuge wackelt und nervt mit Erinnerungslücken. Der Staatsanwalt ist alles andere als objektiv und der Richter gefällt sich vielleicht darin, harte Urteile zu fällen.
Die Art und Weise, wie die Akteure eines Prozesses auftreten, wie sie sich gegenseitig wahrnehmen, wie sie steuern, glucksen oder bremsen, bedeutet permanenten Kampf um die Deutungshoheit eines Falles. Der Strafprozess ist ein lebendiges Geschehen, ständig der Gefahr suggestiver Beeinflussungen ausgesetzt. Die Akteure benutzen die Medien und sie lassen sich von ihnen benutzen.
Der Rechtswissenschaftler Klaus Marxen beschreibt das Verhältnis zwischen Medien und den Strafverfolgungsorganen als ein Geben und Nehmen. "Die Mischung ändert sich von Fall zu Fall. Zum Beispiel leisten auf der einen Seite Medien Fahndungshilfe, sie verpflichten sich zu einem befristeten Schweigen, sind Opfer von Durchsuchung und Beschlagnahme, geben Beschuldigten Gelegenheit zu öffentlichen Stellungnahmen. Auf der anderen Seite inszenieren Polizei und Staatsanwaltschaft eine Festnahme mediengerecht, sie legen für die Medien eine falsche Spur, posaunen Erfolge in Pressekonferenzen heraus, geben nichts sagende Presseerklärungen ab."
Strafrecht provoziert ein Imponiergehabe, das sich ausdrücken will. Meinung und Darstellung verdichten sich zu Strategie oder Instinkt, zu einem aktiven oder unbewussten Handeln. Wie funktioniert das? Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser halb verdeckten Öffentlichkeitsarbeit?
Im Volksmund ist die Staatsanwaltschaft die objektivste Behörde der Welt. Diesen Ruf verdankt sie § 160 Abs. 2 der Strafprozessordnung. Danach sollen die Anwälte des Staates nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände ermitteln. Außerdem sollen sie nach herrschender Meinung so ermitteln, dass die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten geschützt und die Unbefangenheit von Richtern, Zeugen und Sachverständigen nicht verletzt werden.
Diese idealisierende Darstellung spricht der Wirklichkeit Hohn. Tatsächlich verfügen die Staatsanwälte über eine taktische Raffinesse, die Angst macht. Der Strafverteidiger Norbert Gatzweiler wirft den Staatsanwälten vor, dass sie statt Zurückhaltung und Objektivität subjektive Überzeugungen als letzte Wahrheit vertreiben. "Hinreichender Tatverdacht wird zur Tatgewissheit."
Beispiel: Dietmar Hopp und die StaatsanwälteEs gilt das Legalitätsprinzip. Haben die Ermittlungsbehörden den Verdacht einer verfolgbaren Straftat, so sind sie verpflichtet ein Strafverfahren einzuleiten (§ 152 II StPO). Ein Anfangsverdacht besteht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Voraussetzung ist das Vorliegen konkreter Tatsachen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Bloße Vermutungen reichen nicht aus. Später sagt er gegenüber "3sat", dass er eine kalte Wut bekommen habe, als er das Aufgebot der Polizei, die Blockade der Einfahrt zu seiner Villa und das arrogante Benehmen der Beamten vor Ort gesehen hat. Die Durchsuchung empfindet er als beschämend, zumal die Polizisten auch persönliche Dokumente wie sein Testament durchgelesen haben. Auch bei Hopps Steuerberater wühlen die Ermittler. Später stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, die Vorwürfe waren an den Haaren herbeigezogen. |
Für Gatzweiler haben die Pressemitteilungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in vielen Fällen einen "verheerenden Vorverurteilungscharakter", der die Beschuldigten "oft irreparabel stigmatisiert". Um ihr Ziel zu erreichen, schrecken Staatsanwälte auch nicht davor zurück, Journalisten gezielt Informationen zuzustecken, selbst im Ermittlungsverfahren nicht, das eigentlich nicht öffentlich ist. Obwohl noch gar nicht feststeht, ob überhaupt Anklage erhoben und zugelassen wird, finden sich in den Zeitungen Details zu Vorwürfen, Namen, Fotos und sogar Lebensläufen der Beschuldigten.
Damit machen sich die Staatsanwälte zu informellen Richtern. Denn die Gesellschaft grenzt Beschuldigte sehr schnell aus. In dieser sozialen Normierung haben diese Menschen kaum eine Chance, heil aus diesem Dilemma wieder herauszukommen, selbst wenn sie später freigesprochen werden. Es bleibt immer etwas hängen – am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft.
Die Staatsanwälte sind kaum zu stoppen. Es gibt kein Gesetz, das ihnen Art und Weise der Öffentlichkeitsarbeit diktiert. Es gibt nur eine Richtlinie für das Straf- und Bußgeldverfahren. Unter 4a heißt es: "Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck der Ermittlungen bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann." Ein schöner Satz, mehr auch nicht. Denn es fehlen Sanktionen im Falle eines Verstoßes. Wenn der Beschuldigte dem Staatsanwalt aber nachweisen kann, dass er zum Beispiel mit Falschinformationen handelt, könnte es für ihn doch noch eng werden. Gleichwohl: Menschen, die schon genügend Stress mit einem Strafprozess haben, scheuen einen weiteren seelischen und finanziellen Kraftakt, um den Staatsanwalt zu verklagen.
Beispiel: Der Fall Klaus EsserDer ehemalige Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, Klaus Esser, hatte die Kraft und verklagte das Land NRW. Das Landgericht Düsseldorf sprach ihm 10.000 Euro Schadensersatz zu. Das Gericht hat die folgenden fünf Punkte als Rechtsverletzung eingestuft:
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Staatsanwälte sind bei aller notwendigen Differenzierung offenbar nicht in der Lage, sich in die Situation eines Beschuldigten hineinzuversetzen. Sie könnten durch zügiges Ermitteln für schnelle Klarheit sorgen und die Bedrohung der gesellschaftlichen Vorverurteilung abwenden.
Die Praxis aber zeigt, dass selbst in Fällen, bei denen die Unschuld schon nach kurzer Ermittlungszeit feststeht, Verfahren oft über zwei Jahre weiterdösen – ohne dass der Betroffene eine Chance hätte, dagegen anzugehen. Das heißt: In einem öffentlich gemachten Ermittlungsverfahren muss er sich weiter als Beschuldigter bezeichnen lassen, obwohl de facto seine Unschuld feststeht. Die sozialen, beruflichen und finanziellen Folgen sind gravierend. Staatsanwälte handeln nach dem Motto: "Erst schlagen, dann fragen", sagt der Berliner Strafverteidiger Lars Kutzner.
Sofern der Staatsanwalt schnell und zügig ermittelt, die Presse davon nichts mitbekommt und die Öffentlichkeit sich für den anschließenden Prozess nicht interessiert, befindet sich der Beschuldigte in einer vorzüglichen Situation. Für kleinere Fälle des Alltags mag dies zutreffen, doch für prominente Beschuldigte oder spektakuläre Prozesse gelten andere Gesetze. Dann lauern Vorurteile, Vermutungen und Schadenfreude, selten Verständnis und Ausgewogenheit. Vorurteile sind die Vorstufe zur Vorverurteilung. Diese Art von Meinungsbildung entzieht sich jeder Korrektur. Sie ist gnadenlos, ohne Chance dagegen anzukommen.
Es ist offensichtlich, dass ein Prozess, der unter massiver Medieneinwirkung stattfindet, der objektiven Rechtsfindung enge Grenzen setzt. Allerdings hat ein Richter die Möglichkeit, das Leid eines Beschuldigten infolge einer massiven Medienkampagne durch eine mildere Strafe zu kompensieren. Der Angeklagte wird also dann, wenn er schon öffentlich vorverurteilt wurde und danach vom Strafgericht schuldig gesprochen wird, milder bestraft, weil er unter dem medieninduzierten Prozess bereits gelitten hat.
Die These, ein Grundanliegen des Strafprozesses sei die Wahrheitsforschung, klingt wie ein unerreichbares Ideal. Der Strafprozess ist nicht in der Lage, den Beschuldigten wirksam zu schützen. Denn in vielen Fällen lautet die Gleichung: Medienöffentlichkeit gleich Existenzvernichtung. Deshalb lassen sich gerade auch prominente Beschuldigte aus Sport, Kunst und Wirtschaft auf einen Deal mit dem Staatsanwalt ein, auf eine Verfahrenseinstellung gegen Auflagen.
Beispiel: Boris BeckerAuch Boris Becker hat sich darauf eingelassen. Wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe akzeptierte er im Schnelldurchgang eine absprachenübliche Standardstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Ansonsten hätte er sich einem langen Großverfahren mit üppiger Medienbeteiligung stellen müssen. |
Es ist menschlich, dass Strafrichter, die spektakuläre Prozesse mit großer Medienbeteiligung leiten, sich in der Suggestion verirren können. Diese Erfahrung machte auch der vorsitzende Richter, der den Prozess gegen die Schauspielerin Ingrid van Bergen geleitet hatte. Er sagte: "Bei einer derartigen Ausuferung der Meinungsmache werden das Richteramt sowie Befangenheit und Freiheit der richterlichen Entscheidung tangiert."
In Deutschland leben die Prozessbeteiligten während eines Verfahrens nicht in Quarantäne, der Präsident des Bundesgerichtshofes, Günter Hirsch, sieht daher durchaus die Gefahr, dass Medien Richter beeinflussen. "Der Richter liest die Zeitung, er verfolgt die Nachrichten, er wird überflutet nicht nur von Informationen, sondern auch von Stellungnahmen. Und jede Stellungnahme, je nachdem von wem sie kommt, beabsichtigt natürlich eine subtile Einflussnahme auf ihn."
Hirsch glaubt zwar nicht, dass sich Richter in der Frage Schuld oder Unschuld von den Medien beeinflussen lassen, die öffentliche Meinung könnte aber Einfluss auf die Höhe einer Strafe haben. Das bedeutet entweder eine moderate oder harte Strafe. Hirsch entwickelt dafür ein Kriterium, das freilich nicht ganz ungefährlich ist. Er sagt: "Der Richter muss Urteile fällen, die akzeptiert werden und nicht dazu führen, dass die öffentliche Meinung, die Bevölkerung ihre Justiz nicht mehr versteht und das Vertrauen verliert." Damit macht er die Medien indirekt zu Verfahrensbeteiligten. Zumindest die Massenblätter steuern mit ihren Aufmachungen und Kampagnen die Volksmeinung.
Zwei Drittel der Bevölkerung fordert härtere Strafen. 71 Prozent meinen, dass die Prozesse zu lange dauern. Solche Zahlen verwunden das Ego des Strafverteidigers. Sie machen aber auch deutlich, dass Strafverteidigung ein permanenter Kampf gegen Dummheit, Unwissenheit und Verbohrtheit ist. Menschen, die einen Fall in all seinen Facetten nicht kennen und auch keine Vorstellungen vom Strafvollzug haben, vertauschen Ahnungslosigkeit mit Erkenntnis. Das ist gefährlich.
Wer das Richtige zu fordern glaubt, ohne die Voraussetzungen für eine gerechte Forderung zu kennen, begeht Unrecht. Dieses Unrecht ist wesentlicher Bestandteil einer Gesellschaft, die sich laut und schrill äußern will, um Dampf abzulassen. Wut schärft das persönliche Gerechtigkeitsempfinden. Es artikuliert Schimpf und Schande, das tut gut.
Davon darf sich der Strafverteidiger nicht beeinflussen lassen. Wer es tut, hat schon verloren. Seine Unbefangenheit und die Qualität seiner Verteidigung nehmen Schaden. Er ist nicht mehr in der Lage, Argumente und Anträge mit notwendiger Autorität einzubringen.
Strafverteidiger befinden sich gegenüber der Öffentlichkeit fast immer in der Defensive. Sie haben kaum eine Chance auf gesellschaftliche Akzeptanz. Sie werden als "Schmuddelkinder" unseres Rechtssystems wahrgenommen. Dabei sind sie es, die einem Menschen, schuldig oder unschuldig, in einer dramatischen Situation beistehen – und damit erst die tiefere Sinnmäßigkeit unseres Rechtssystems verdeutlichen. Es verinnerlicht das Ideal der Wahrheitsfindung, um damit dem Opfer, der Gesellschaft und letztlich auch dem Schuldigen durch die Klarheit eines Urteils Referenz zu erweisen.
Wenn der Zeuge einen Fall in Zeitungen nachliest, bestehen erhebliche Gefahren für die Richtigkeit von Zeugenaussagen. Das ist allzu menschlich. Der Richter befragt ihn, er ist nervös, der Zuschauerraum ist voll, draußen sitzen die Bildreporter. Jetzt muss er präzise sagen, was er gesehen oder gehört hat.
Es wird manchem Zeugen schwer fallen, überhaupt noch zu unterscheiden, was er selbst erlebt und was er der Presse entnommen hat. Interviews und Reportagen nehmen dem Zeugen die erforderliche Unbefangenheit. Der Zeuge steigert sich in den Fall und die handelnden Personen hinein, statt emotional abzurüsten und die Wahrheit ohne schmückendes Beiwerk zu schildern. Jedes Wort, das nicht mehr vollständig das Erlebte, sondern eine gewisse Wunschvorstellung ausdrückt, macht aus dem Zeugen einen Zweifler.
Der Platz auf der Anklagebank ist von demütigender Härte. Über den Menschen, der hier Platz nehmen muss, unvoreingenommen zu schreiben, ist sicherlich schwierig.
Warum das so ist? Es sind unsere durchtrainierten Vorurteile, zunächst einmal die Schuld eines Menschen zu sehen und nicht so sehr seine Unschuld. Sicherlich spielt im Unterbewusstsein auch der Respekt vor dem Gericht eine Rolle. "Der hat sicherlich etwas auf dem Kerbholz, sonst würde er da ja nicht sitzen." Der legendäre Spiegel-Gerichtsreporter Gerhard Mautz hat mal den nachdenklichen Satz ausgesprochen: "Dem Deutschen liege es nicht, für einen anderen einzutreten, lieber klage er an, am liebsten richte er."
Das geschriebene Wort lässt sich nicht mehr leugnen, nicht mehr relativieren oder korrigieren. Gedruckt ist gedruckt und die Menschen glauben, was in der Zeitung steht. Der Zeitgeist diktiert Ablehnung, Entrüstung oder Zustimmung. Entweder initiieren die Medien diese Stimmungen oder sie reagieren darauf. Die Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen sagt es so:
"Wenn alle sparen müssen, gilt die öffentliche Erregung Manager-Gehältern
und Abfindungen in Millionenhöhe. Dann wird der Mannesmann-Prozess
zum wichtigsten Wirtschaftsprozess der Nachkriegszeit aufgebläht
und entsprechend journalistisch begleitet."
Medien sind darauf ausgerichtet, sich einzumischen und Stellung zu beziehen. Das muss nicht immer zum Nachteil des Beschuldigten sein. Im Kokain-Prozess gegen den Maler Jörg Immendorf tritt der Richter teils beleidigend, teils respektlos auf. Die Lokalredaktion der Rheinischen Post in Düsseldorf kritisiert daraufhin heftig den Auftritt des Richters und fordert mehr Würde gegenüber dem Angeklagten. Tatsächlich ändert er daraufhin sein Verhalten und mäßigt sich.
Der Deutsche Richterbund erwartet von den Journalisten, dass sie "fair, kompetent und zutreffend berichten", weil "eine persönlich gefärbte, diffamierende oder falsche Berichterstattung fundamental und oftmals unkorrigierbar in die Rechte der am Strafverfahren Beteiligten eingreift". Fairness bedeutet Ausgewogenheit, Kompetenz bedeutet Beurteilungsfähigkeit. Richtigkeit bedeutet Wahrheit.
Ein Journalist, der nicht permanent an der Verhandlung teilnimmt, vom ersten Tag bis zum Urteil, hat keine Chance, den hohen Anforderungen des Deutschen Richterbundes gerecht zu werden. Doch nur wenige Verlage sind finanziell dazu in der Lage, einen Redakteur für die gesamte Dauer eines Verfahrens abzustellen. Oder die Redaktion schickt den Journalisten nur zur Prozesseröffnung und zur Urteilsverkündigung zum Verfahren. Die meisten Redaktionen drucken nur Agenturmeldungen ab, formulieren danach Überschriften, Kommentare und Bewertungen. Inhaltliche Ausrutscher sind deshalb unausweichlich. Sie führen deshalb zu einer Verletzung der Unschuldsvermutung.
"Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil“, hat die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach geschrieben, eine Meisterin der psychologischen Erzählung. Die meisten Journalisten glauben zumindest, sie würden keinen Menschen wissentlich dem Messer ausliefern. Selbst Boulevardjournalisten, die von der Zuspitzung ihrer Themen leben, tricksen mit Worten, um das Gebot der Unschuldsvermutung halbwegs zu retten. "Halbwegs" heißt ja und nein, wenn die Sensationslust kitzelt, ist die Auflage näher als der betroffene Mensch.
Die Brüche der Unschuldsvermutung sind fein. Die Verletzung der Unschuldsvermutung beginnt nicht erst mit dem Beschreiben eines Falles, sondern schon mit dem Bekanntwerden eines Falles. Die Veröffentlichung der Vorwürfe und der Ermittlungsergebnisse kann sich für die Betroffenen erheblich schlimmer auswirken als die offizielle Strafe.
Altbundespräsident Roman Herzog: "Es darf in einem Rechtsstaat doch eigentlich nicht vorkommen, dass ein Mensch, gegen den ein Strafverfahren anhängig ist, am Ende gesellschaftlich und wirtschaftlich am Ende ist, obwohl ihn das Gericht nachher wegen erwiesener Unschuld freigesprochen hat."
Die feinen Risse der Unschuldsvermutung zeigen sich auch bei der Sprache. Schreibt der Journalist bissig, aggressiv oder nüchtern? Welche Synonyme findet er für einen Vorwurf? Wenn er komplizierte Regeln der Vorstandsvergütung mit dem Wort "Abzockerei" auf den Punkt bringt, dann wird aus dem Vorstandsvorsitzenden sehr schnell der Abzocker. Daraus entwickeln die Medien ihre Storys.
Der Boulevardjournalist schreibt im Sinne der Arbeitslosen und Schwachen, die ihren Job verloren haben, "weil die da oben zu viel verdienen". Der Wirtschaftsjournalist vertritt die Interessen der Aktionäre und untersucht, welche Vorstände von DAX-Konzernen ihr Geld wert sind. So funktioniert Journalismus. Sich darüber aufzuregen ist unprofessionell.
Gerüchte, Halbwahrheiten und Unwichtigkeiten schaffen Tatsachen, die dann nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Sie greifen ein in die Prozesswirklichkeit, denen sich Richter, Staatsanwälte, Zeugen und Sachverständige nicht immer verschließen können.
Dieser Beitrag wurde - mit freundlicher Genehmigung der BusinessVillage GmbH - der folgenden Publikation entnommen:
Frank Wilmes |
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
9. Jahrgang (2006), Ausgabe 6 (Juni)
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Letzte Aktualisierung: Montag, 4. November 2024
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